Mittwoch, 27. Februar 2013

Post von A. Maschine (3)

Lieber Herr W.,

wie ich höre, stehen Sie seit einigen Wochen vor einer schwierigen Entscheidung Ihre berufliche Zukunft betreffend. Teils machen mich diese Neuigkeiten ein wenig betrübt, da viele ihrer Sorgen ihren existentiellen Charakter verloren hätten, hätten Sie das von mir angebotene Stipendium akzeptiert. Andererseits erfüllt mich Ihr jugendlicher Ehrgeiz, Ihre Ziele auch ohne meine finanzielle Unterstützung zu erreichen, mit Freude und Stolz. Zudem sehe ich mich, wie ich in aller Bescheidenheit bemerken möchte, durch die zahlreichen herausragenden beruflichen Möglichkeiten, die sich Ihnen in den letzten Monaten aufgetan haben, in meiner Einschätzung Ihrer Person bestätigt, die ich bereits in der ersten Stunde Ihrer journalistischen und wissenschaftlichen Laufbahn formuliert habe und die ich zu Beginn dieses Briefes ausdrücklich wiederholen möchte: Die Welt steht Ihnen offen, Herr W., weil Sie ein wunderbarer Mensch sind, dessen Talente sich unmöglich im Einzelnen aufzählen lassen.

Herr W., ich schreibe Ihnen heute in der Hoffnung, Ihnen auf Basis meiner Lebens- und Berufserfahrung auch in mir durchweg unangenehmen Bereichen (Sie erinnern sich an die Maschinenfabrik meines Vaters, deren Leitung ich wohl oder übel für einige Zeit übernehmen musste) einige Ratschläge geben zu können, die Ihnen Ihre Entscheidung möglicherweise erleichtern. Fühlen Sie sich bitte nicht bevormundet, sondern sehen Sie meine Nachricht als unbedeutende Hilfestellung Ihres väterlichen Freundes, der es Ihnen keineswegs übel nähme, sollten Ihre jugendlichen Ambitionen Ihnen einen anderen Weg aufzeigen als denjenigen, den ich Ihnen im Folgenden anraten möchte.

Zunächst möchte ich Ihnen denjenigen Hinweis geben, der mir besonders am Herzen liegt und den Sie mit Sicherheit weder zum ersten noch zum letzten Mal erhalten: Versuchen Sie nicht, herauszufinden, was Sie wirklich wollen. Diese Strategie garantiert Ihnen keineswegs die richtige Entscheidung, sondern vielmehr ein gedankliches Wirrwarr, welches auch die präziseste philosophische Analyse eines messerscharf arbeitenden Verstandes wie dem Ihren nicht zu durchdringen vermag.
Folgen Sie stattdessen dem erstbesten Impuls, der Ihnen zu irgendeinem Zeitpunkt als bedeutsam erscheint, ungeachtet all der anderen (Schein-)Argumente, die sich Ihnen im Moment des unüberlegten Nachdenkens (zu dem Sie bedauerlicherweise gelegentlich zu neigen scheinen) aufdrängen. Mir persönlich fällt dieses Verfahren leichter, wenn ich zuvor in geselliger Runde eine gewisse Menge alkoholischer Getränke zu mir genommen habe, aber in diesem Punkt möchte ich Ihnen natürlich keine Vorschriften machen. Erscheint Ihnen mein Vorschlag undurchführbar, da Ihr analytischer Verstand sich nicht überlisten lässt, lassen Sie das Los entscheiden. Mein Rat lautet kurzum (Sie mögen mir die Waghalsigkeit der Empfehlung verzeihen): Seien Sie gedankenlos!

Da ich Ihr Fortkommen nun schon seit einigen Jahren beobachte und selbstverständlich entsprechende Schlüsse über Ihr Wesen gezogen habe, weiß ich, dass Sie diesen Rat womöglich missachten werden. Ich nehme Ihnen das nicht übel. Lassen Sie sich deswegen, wenn Sie auf Argumenten bestehen, darum bitten, in Ihre Überlegungen Ihre Freizeit mit einzubeziehen. Entscheiden Sie sich für die Stadt, in der Sie leben möchten, für die Menschen, die Sie kennenlernen möchten und für die Gedanken, die Sie denken wollen, wenn Sie Ihren Arbeitsplatz verlassen. An welchem Ort sehen Sie eher die Chance, in einem Umfeld zu leben, das zu Ihnen passt? Mir ist vollkommen klar, dass es für außergewöhnliche Menschen wie Sie, die sich sicherlich nie vollkommen in eine soziale Welt werden einfügen können, schwierig ist, diese Frage zu beantworten. Ich vermute aber, dass Sie sich selbst in dieser Hinsicht zu pessimistisch betrachten (in diesem Punkt unterscheiden Sie sich übrigens wenig von anderen jungen Menschen). Auch Sie, Herr W., können und werden einen Ort finden, der sich – zugegebenermaßen nicht ohne Pathos! – als Zuhause bezeichnen lässt, wenn Sie es nur annehmen (keine Sorge: Sie müssen es nicht einmal wollen).

Denken Sie weniger an die entfernte Zukunft, denken Sie an die nächsten Jahre. Und entscheiden Sie sich nicht für einen Beruf: Wer vor der Wahl steht, entweder Philosoph oder Journalist zu sein, tut besser daran, andere Kriterien zu entwickeln, anstatt seine Zukunft an solch zweifelhafte Konzepte zu knüpfen. Zu guter Letzt möchte ich Sie darum bitten, sich einfach weniger Sorgen zu machen. Ihre finanzielle Situation wird Ihnen, in diesem Punkt habe ich überhaupt keine Zweifel, immer so viele Chicken McNuggets, Chips und Zigaretten ermöglichen, wie erforderlich sind, um Sie – ich sage es salopp – über Wasser zu halten.

Sollte sich herausstellen, dass keine der sich Ihnen im Moment bietenden Optionen für Sie die geeignete ist, so kann ich Ihnen jederzeit eine Beschäftigung als Bademeister in meinem pataphysischen Schwimmbad anbieten, das ich, wie sie vielleicht freuen wird zu hören, zu Beginn dieses Jahres tatsächlich eröffnen konnte. In Ihren Aufgabenbereich fiele dort insbesondere die Wartung der Beschleunigungsapparatur der Anti-Raumzeit-Wasserrutsche, die Ihnen sicherlich Vergnügen bereiten wird. (Ein Jahresticket zum Besuch des Schwimmbads liegt diesem Schreiben bei.)
Darüber hinaus weiß ich von Frau K. (die Sie übrigens mit Fug und Recht als die zwischen uns vermittelnde Instanz und so die ihrigen zugleich als die meinen Ratschläge betrachten dürfen), dass sie Sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten in allen Belangen unterstützen wird, obwohl sie sich, wie sie mir gestanden hat, durchaus darüber freuen würde, wenn Sie ihr als fachlicher Kollege erhalten blieben.

Es grüßt aus vollem Herzen
verbindlichst
Ihr A. Maschine

4 Kommentare:

  1. Jochen Distelmeyer27. Februar 2013 um 20:03

    Seien Sie gedankenlos -- ist das vom neuen Tocotronic-Album?

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    1. Ne, vom letzten Blumfeld-Album.

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    2. Jochen Distelmeyer27. Februar 2013 um 20:50

      Stimmt; da war es Zeit, die Band aufzulösen. Leider haben die Tocos den Absprung verpasst!

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