wie ich höre, stehen Sie seit einigen Wochen vor einer
schwierigen Entscheidung Ihre berufliche Zukunft betreffend. Teils machen mich
diese Neuigkeiten ein wenig betrübt, da viele ihrer Sorgen ihren existentiellen
Charakter verloren hätten, hätten Sie das von mir angebotene Stipendium akzeptiert.
Andererseits erfüllt mich Ihr jugendlicher Ehrgeiz, Ihre Ziele auch ohne meine
finanzielle Unterstützung zu erreichen, mit Freude und Stolz. Zudem sehe ich
mich, wie ich in aller Bescheidenheit bemerken möchte, durch die zahlreichen
herausragenden beruflichen Möglichkeiten, die sich Ihnen in den letzten Monaten aufgetan haben, in meiner Einschätzung Ihrer Person bestätigt, die ich bereits in der
ersten Stunde Ihrer journalistischen und wissenschaftlichen Laufbahn formuliert
habe und die ich zu Beginn dieses Briefes ausdrücklich wiederholen möchte: Die
Welt steht Ihnen offen, Herr W., weil Sie ein wunderbarer Mensch sind, dessen
Talente sich unmöglich im Einzelnen aufzählen lassen.
Herr W., ich schreibe Ihnen heute in der Hoffnung, Ihnen auf
Basis meiner Lebens- und Berufserfahrung auch in mir durchweg unangenehmen
Bereichen (Sie erinnern sich an die Maschinenfabrik meines Vaters, deren
Leitung ich wohl oder übel für einige Zeit übernehmen musste) einige Ratschläge
geben zu können, die Ihnen Ihre Entscheidung möglicherweise erleichtern. Fühlen
Sie sich bitte nicht bevormundet, sondern sehen Sie meine Nachricht als unbedeutende
Hilfestellung Ihres väterlichen Freundes, der es Ihnen keineswegs übel nähme,
sollten Ihre jugendlichen Ambitionen Ihnen einen anderen Weg aufzeigen als
denjenigen, den ich Ihnen im Folgenden anraten möchte.
Zunächst möchte ich Ihnen denjenigen Hinweis geben, der mir
besonders am Herzen liegt und den Sie mit Sicherheit weder zum ersten noch zum
letzten Mal erhalten: Versuchen Sie nicht, herauszufinden, was Sie wirklich
wollen. Diese Strategie garantiert Ihnen keineswegs die richtige Entscheidung,
sondern vielmehr ein gedankliches Wirrwarr, welches auch die präziseste
philosophische Analyse eines messerscharf arbeitenden Verstandes wie dem Ihren
nicht zu durchdringen vermag.
Folgen Sie stattdessen dem erstbesten Impuls, der Ihnen zu
irgendeinem Zeitpunkt als bedeutsam erscheint, ungeachtet all der anderen
(Schein-)Argumente, die sich Ihnen im Moment des unüberlegten Nachdenkens (zu
dem Sie bedauerlicherweise gelegentlich zu neigen scheinen) aufdrängen. Mir
persönlich fällt dieses Verfahren leichter, wenn ich zuvor in geselliger Runde
eine gewisse Menge alkoholischer Getränke zu mir genommen habe, aber in diesem
Punkt möchte ich Ihnen natürlich keine Vorschriften machen. Erscheint Ihnen
mein Vorschlag undurchführbar, da Ihr analytischer Verstand sich nicht
überlisten lässt, lassen Sie das Los entscheiden. Mein Rat lautet kurzum (Sie mögen
mir die Waghalsigkeit der Empfehlung verzeihen): Seien Sie gedankenlos!
Da ich Ihr Fortkommen nun schon seit einigen Jahren
beobachte und selbstverständlich entsprechende Schlüsse über Ihr Wesen gezogen
habe, weiß ich, dass Sie diesen Rat womöglich missachten werden. Ich nehme
Ihnen das nicht übel. Lassen Sie sich deswegen, wenn Sie auf Argumenten
bestehen, darum bitten, in Ihre Überlegungen Ihre Freizeit mit einzubeziehen. Entscheiden
Sie sich für die Stadt, in der Sie leben möchten, für die Menschen, die Sie
kennenlernen möchten und für die Gedanken, die Sie denken wollen, wenn Sie
Ihren Arbeitsplatz verlassen. An welchem Ort sehen Sie eher die Chance, in
einem Umfeld zu leben, das zu Ihnen passt? Mir ist vollkommen klar, dass es für
außergewöhnliche Menschen wie Sie, die sich sicherlich nie vollkommen in eine
soziale Welt werden einfügen können, schwierig ist, diese Frage zu beantworten.
Ich vermute aber, dass Sie sich selbst in dieser Hinsicht zu pessimistisch
betrachten (in diesem Punkt unterscheiden Sie sich übrigens wenig von anderen
jungen Menschen). Auch Sie, Herr W., können und werden einen Ort finden, der
sich – zugegebenermaßen nicht ohne Pathos! – als Zuhause bezeichnen lässt, wenn
Sie es nur annehmen (keine Sorge: Sie müssen es nicht einmal wollen).
Denken Sie weniger an die entfernte Zukunft, denken Sie an
die nächsten Jahre. Und entscheiden Sie sich nicht für einen Beruf: Wer vor der Wahl steht, entweder
Philosoph oder Journalist zu sein, tut besser daran, andere Kriterien zu
entwickeln, anstatt seine Zukunft an solch zweifelhafte Konzepte zu knüpfen. Zu
guter Letzt möchte ich Sie darum bitten, sich einfach weniger Sorgen zu machen.
Ihre finanzielle Situation wird Ihnen, in diesem Punkt habe ich überhaupt keine
Zweifel, immer so viele Chicken McNuggets, Chips und Zigaretten ermöglichen,
wie erforderlich sind, um Sie – ich sage es salopp – über Wasser zu halten.
Sollte sich herausstellen, dass keine der sich Ihnen im
Moment bietenden Optionen für Sie die geeignete ist, so kann ich Ihnen
jederzeit eine Beschäftigung als Bademeister in meinem pataphysischen Schwimmbad
anbieten, das ich, wie sie vielleicht freuen wird zu hören, zu Beginn dieses
Jahres tatsächlich eröffnen konnte. In Ihren Aufgabenbereich fiele dort
insbesondere die Wartung der Beschleunigungsapparatur der
Anti-Raumzeit-Wasserrutsche, die Ihnen sicherlich Vergnügen bereiten wird. (Ein
Jahresticket zum Besuch des Schwimmbads liegt diesem Schreiben bei.)
Darüber hinaus weiß ich von Frau K. (die Sie übrigens mit
Fug und Recht als die zwischen uns vermittelnde Instanz und so die
ihrigen zugleich als die meinen Ratschläge betrachten dürfen), dass sie Sie im
Rahmen ihrer Möglichkeiten in allen Belangen unterstützen wird, obwohl sie
sich, wie sie mir gestanden hat, durchaus darüber freuen würde, wenn Sie ihr als fachlicher Kollege erhalten blieben.
Es grüßt aus vollem Herzen
verbindlichst
Ihr A. Maschine
(clap)
AntwortenLöschenSeien Sie gedankenlos -- ist das vom neuen Tocotronic-Album?
AntwortenLöschenNe, vom letzten Blumfeld-Album.
LöschenStimmt; da war es Zeit, die Band aufzulösen. Leider haben die Tocos den Absprung verpasst!
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